Wie war das gleich, mit dem Bauchmuskeltraining nach der Schwangerschaft?

Crunch, oder doch nicht?

Es wird immer ein Thema bleiben. In jeder Rückbildungsstunde, in jeder gemeinsamfit mit Baby Stunde, via den SocialMedia Plattformen - einfach überall -  werde ich gefragt:

 

Wann darf ich nach der Geburt wieder „richtiges Bauchmuskeltraining“ machen? 

 

 

Mit „richtigem Bauchmuskeltraining“ meinen die Mamas „Situps und Crunches“, denn nur Situps und Crunches machen unseren Bauch schön flach - zumindest versuchen uns das Fitnessstudien, Bauch-Beine Po- Kursleiter  und CO weiss zu machen. Ich behaupte mal, dass der Crunch mitunter die berühmteste Fitnessübung überhaupt ist und nur deswegen so begehrt ist.  

 

Nun aber der ernüchternde Fakt: 

 

 

  1. Eigentlich sind sie nicht wirklich funktionell (wir wollen ja funktionell trainieren, denn nur das macht auf Dauer Sinn) und
  2. zudem postnatal auch noch „gesundheitsschädigend“.

 

 

 Das klingt jetzt erst mal schockierend, da sie nach wie vor in manchen Rückbildungskursen, Baby-Fitnesskursen und Co als DIE Rückbildungsübung schlechthin angepriesen werden- aber wenn wir die Evolution, motorische Entwicklung und Anatomie (vorallem nach und während der Schwangerschaft) genauer betrachten auch nachvollziehbar:

Über die Funktionalität

1) OI und OE 2) M.Transverus Abdominis 3) M. Rektus Abdominis
1) OI und OE 2) M.Transverus Abdominis 3) M. Rektus Abdominis

Vor etwa sieben Millionen Jahren begann in Afrika die Erfolgsgeschichte „Mensch“. Zu diesem Zeitpunkt krochen wir noch im Vierfüßler auf dem Boden und aßen Pflanzen. Unsere Bauchmuskeln waren dazu da, das Gewicht des Bauchinhalts zu halten, also als Stützwand. Aber, sich gegen Löwen zu behaupten und auf der trockenen, heissen Savanne zu überleben, funktionierte nur mit dem aufrechten Gang. So wurde aus dem „kriechenden Lebewesen“, ein „gehendes Lebewesen“. Von nun an wirkte die Schwerkraft anders und unsere Muskeln mussten sich den neuen Anforderungen anpassen. Rücken- und Bauchmuskeln waren fortan also dazu da, uns vorm Hinfallen zu bewahren. Sie richteten uns auf, ermöglichten dem Oberkörper sich zu drehen, die Wirbelsäule zu beugen und zur Seite zu neigen. Interessant  und sonderbar zugleich, machen Babys die gleiche motorische Entwicklung innerhalb des ersten Lebensjahr durch.  Zudem helfen Bauchmuskeln übrigens bei der Atmung mit, was wunderbar beim Husten  zu sehen ist. 

 

 

Es gibt drei (bzw vier) Bauchmuskel- Hauptschichten: von tief bis oberflächlich: 

 

  1. M. Transversus Abdominis (TA), - vom Rücken beginnend, quer verlaufend nach vorne in die Faszie in der Mitte des Bauches (LInea Alba) 
  2. M. Obliquus Internus (OI)- vom Becken beginnend, schräg verlaufend zu den Rippen sowie zur Linea Alba
  3. M. Obliquus Externus-(OE) von den Rippen schräg verlaufend zur Linea Alba 
  4. 4) M. Rectus Abdominis (RA).- vom Rippenbogen links und rechts gerade verlaufend hinunter zum Schambein

 

 

Zwischen den beiden Rektusbäuchen verläuft die Faszienplatte „Linea Alba“-  der Treffpunkt aller Bauchmuskeln. 

 

Was sagt uns das?

Der M. Rektus Abdominis (besagter „Sixpack Muskel“)  ist also nur einer von vier Bauchmuskeln, die gemeinsam arbeiten und je nach Bewegungsauftrag unterschiedlich stark aktiv sind.  Ihn  isoliert zu trainieren ist in etwa so sinnfrei wie nach dem Zähneputzen, Zuckerwatte zu essen. Im Grunde trainiert man sich so nur einen kurzen Bauch und einen runden Rücken an. Dazu kommt noch die anatomischen Voraussetzungen des RA, die es eigentlich unmöglich machen  den Bauch abzuflachen. Sie machen, bei einem sehr geringen Körperfettanteil eventuell einen Sixpack, aber keine schmale Taille und schon gar nicht einen flachen Bauch.  Wie denn auch, wenn der Muskelverlauf von oben nach unten geht? Um den Bauch zu formen, brauchen wir einen Muskel der sich um den Bauch wickelt PLUS einen geringen Körperfettanteil. Und richtig, wer aufmerksam gelesen hat wird es bemerkt haben, da haben wir sogar einen Muskel in unserem Repertoire: den M. Transversus Abdominins (dazu gleich)

 

Was passiert während und nach der Schwangerschaft?

 Eine Schwangerschaft erfordert zwangsläufig, mit zunehmendem Bauchumfang, ein Dehnen des Gewebes  (Haut, Bänder und Muskulatur). Bei jeder schwangeren Frau entwickelt sich somit spätestens im letzten Trimester eine Rektusdiastase, da die Linea Alba (die Bindegewebsplatte in der Mitte zwischen den beiden geraden Bauchmuskeln) gedehnt oder sogar überdehnt wird, so dass sich die geraden Bauchmuskeln von der Mittellinie zur Seite schieben. Das ist normal und nicht krankhaft. Es bedeutet aber auch, dass die Muskeln ausdünnen und ihre Zugrichtung verlieren und demnach auch ihre Funktion. Deswegen kommt man übrigens am Ende der Schwangerschaft so schwer von der Couch auf (Stichwort: Käfer auf Rücken). 

 

 

Unmittelbar nach der Geburt kann man diese Lücke ganz gut tasten, indem man in Rückenlage den Kopf etwas anhebt und in der Mitte ober- und unterhalb des Bauchnabels das Gewebe abtastet (dies soll nur ein Test bleiben). Zu diesem Zeitpunkt ist das übrigens auch noch normal. Nach 8 Wochen sollten die entstandene, weiche Lücke aber wieder stabil sein. Ist sie das nicht, über ca 3cm und ohne jeglicher Gegenspannung,  spricht man von einer pathologischen Rektusdiastase. 

 

Und was hat das jetzt mit dem Bauchmuskeltraining nach der Schwangerschaft zu tun?

Viel! 

 

 

  1. Es dauert gut ein Jahr (bei Frauen mit RD dementsprechend länger) bis die Bauchmuskulatur wieder ihre ursprüngliche Länge und somit ihre volle Funktion zurück hat. 
  2. Crunches/ Situps erhöhen die Bauchinnendruck und belasten den Beckenboden immens. Nach der Geburt können die wenigsten „Rumpfkapseln“ diesem Druck Stand halten. Bei jeder Wiederholung begünstigt man somit eine Beckenbodensenkung, ebenso wie …
  3. … sich der Bauchinnendruck  den geringsten Widerstand suchen wird und das ist nach der Schwangerschaft die ausgedünnte Linea Alba. Führt man also Crunches aus, provoziert man jedesmal eine bleibende Rektusdiastase. Auch wenn acht Wochen nach der Geburt die Bauchdecke recht stabil sein mag, heisst das nicht, dass das Gewebe bereit dazu ist. Das Relaxinlevel ist nach der Geburt noch sehr lang hoch (wer stillt hält es noch länger aufrecht), somit ist das Gewebe weich und man kann sich regelrecht eine RD antrainieren.
  4. Die Wirbelsäule wird (nicht nur nach, aber gerade nach der Schwangerschaft) unnötig stark belastet, weil der Körper weich und instabil ist. Bei falscher Durchführung kann das zu erheblichen Rückenschmerzen führen, zudem bringt das isolierte Training des RA ein ziemliches Ungleichgewicht zwischen Rücken- und Bauchmuskulatur, was wiederum zu Problemen führen kann (an dem Punkt sind wir wieder bei der Funktionalität)

Wann darf man dann wieder Crunches machen?

Theoretisch ab dem Moment, wo dein Körper wieder gelernt hat mit  „Druckerhöhung“ umzugehen. Wenn also kein Wulst bzw keine Einkerbung in der Bauchmitte entsteht, sobald du hustest, Situps und CO machst. Wenn dein Beckenboden stabil genug ist und große Druckerhöhungen abfedern kann … DANN sind Crunches erlaubt!! In anderen Worten: Wenn man die Lücke und den Beckenboden kontrollieren kann und das ist der Knackpunkt:  Die funktionelle Kraft der Rumpfkapsel stellt sich nach der Schwangerschaft leider meistens nicht von alleine ein, sondern braucht Unterstützung (Rückbildungsgymnastik, Rückfindungsfibel, …) 

Eine stabile, funktioniere Rumpf/Bauchkapsel ist aber nunmal enorm wichtig für die Stabilität des gesamten Körpers. Trainiert man aus falschem Ehrgeiz oder Unwissenheit den geschwächten Körper mit den falschen Übungen kann das zu Langzeit- bzw Spätfolgen führen. 

 

 

Aber nochmal: Wenn wir den Crunch aus funktioneller Sicht betrachten, brauchen wir ihn gar nicht zusätzlich trainieren. Deswegen mein Tipp: Streicht ihn von eurem Trainingsplan und aktiviert lieber den Körperkern (M. Transversus Abdominis+ Beckenboden) in Kombination mit anderen Übungen des Rumpfes (Squads, Lunges, …). DAS macht nämlich den Bauch flach, ist viel funktioneller und stärkt euch gleichzeitig von innen ( siehe Rückfindungsfibel)

 

Darf ich dann die schrägen Bauchmuskeln trainieren? Und wie sieht es mit Planks aus? Yoga und Pilates?

Nein! Wenn man die schrägen Bauchmuskeln aktiviert (OI und OE) bewirkt man, dass sich die Muskelfasern zusammenziehen und während dieser Kontraktion erweitert sich der Spalt, zusätzlich erhöhen sie ebenso wie normale Crunches den Bauchinnendruck. Früher wurde oft dazu geraten nach der Geburt ganz intensiv die schrägen Bauchmuskel zu trainieren, aber das wurde mittlerweile wissenschaftlich widerlegt.

Planken, oder nicht planken. Auch hier spielt die Stabilität deines Körperkerns eine große Rolle. Wenn du eine Planke machst und sich dabei nichts rauswölbt kannst du weitermachen. Wölben sich dabei aber deine Organe raus und der berühmte Wulst entsteht, stoppe sofort und arbeite weiter an der Stabilität des M. transversus und deines BeBos.

Yoga und Pilates werden oft als sanfte Sportarten empfohlen. Wer beides schonmal ausprobiert hat, wird schnell eines Besseren belehrt. Viele Ausgangsstellungen (Klappmesser, Kobra,  Bogen… ) erhöhen stark den Bauchinnendruck. Sie sind nicht grundsätzlich kontraindiziiert,

 

Übungen und Ausgangsstellungen müssten nur an den Zustand der Mama angepasst werden. In der Rückbildungszeit haben diese Kurse aber nichts zu suchen. 

 

Was darf ich dann machen?

Stabilisiere deinen Körperkern (Transversusatmung), arbeite an deiner Haltung (essentiell!!!!), nimm Proteine zu dir  für eine gute Heilung, trinke genug Wasser und gönne deinem Körper ZEIT, die er braucht. Und ganz wichtig: Vergleiche dich nicht mit anderen Mamas!

 

 Wer sich weiter und tiefer mit der Thematik beschäftigen möchte, wer den Körperkern kräftigen und den Körper besser verstehen möchte, wird in meiner Rückfindungsfibel fündig, Bestellen unter: www.gemeinsam-fit.at/rueckfindungsfibel

 

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